Alice im medialen Transfer

Vom Wunderland zum Albtraumland


Alice im medialen Transfer

Vergleich und Deutung von Lewis Carrolls Buchvorlagen mit dem Computerspiel American McGee’s Alice

Institut für Populäre Kulturen

Klassiker der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur im medialen Transfer

Herbstsemester 2008

Abgabedatum: 5.11.2008

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung……………………………………………………………………………………………………… S. 03
  2. Kurzcharakterisierung der Buchvorlagen…………………………………………………….. S. 03
    1. Alice und Lewis: die Entstehungsgeschichte………………………………………….. S. 04
    1. Hauptfiguren und Hierarchien in den „Alice“-Büchern anhand von John Tenniels Illustrationen…………………………………………………………………………………………… S. 05
    1. Die Übergangsszenen, ihre Bedeutung für Alice und was das Phantastische damit zu tun hat………………………………………………………………………………………………………….. S. 08
  3. American McGee’s Alice………………………………………………………………………………. S. 10
    1. Der Entwickler: American McGee…………………………………………………………… S. 10
    1. Rezeption……………………………………………………………………………………………….. S. 11
  4. Vergleich………………………………………………………………………………………………………. S. 13
    1. Charakterisierung der Figuren……………………………………………………………….. S. 13
    1. Gedanken über Alice, ihre Psyche und das Wunderland……………………….. S. 15
  5. Schlusswort………………………………………………………………………………………………….. S. 17
  6. Bibliographie…………………………………………………………………………………………………. S. 18
  7. Bilderverzeichnis…………………………………………………………………………………………… S. 19
  8. Anhang: Zusammenfassungen…………………………………………………………………….. S. 20
    1. Alice im Wunderland………………………………………………………………………………. S. 20
    1. Durch den Spiegel und was Alice dort fand……………………………………………. S. 21
    1. American McGee’s Alice………………………………………………………………………… S. 22


  1. Einleitung

Alice im Wunderland hat mich schon seit meiner Kindheit fasziniert. Wir durften pro Tag nur eine halbe Stunde fernsehen und oftmals lief eine Folge der japanischen Animeserie. All diese wundervollen Figuren und Persönlichkeiten! Und mittendrin Alice mit ihrer ständigen Begleitung, dem Hasen Benny Bunny (ich hatte sogar einen Plüschhasen, der diesen Namen trug). Auch der Disney Film wurde bei uns oft und gerne geguckt.

Über die Jahre, die seither vergangen sind, ist mir Alice immer wieder begegnet. Sei es als Anspielung im Film „The Matrix“, als Videospiel, als Untertitel eines Films[1] („What the bleep do we know – how far down the rabbit hole of misteriousness do you want to go?“), oder an einem Konzert von Marilyn Manson. Dort lief, während das Bühnenbild umgebaut wurde, ein stark verfremdeter Ausschnitt aus einem Alice–Hörspiel.

Und nun werde ich mich in dieser Arbeit mit Lewis Carrolls Geschichte auseinandersetzen.

Ich möchte auf den folgenden Seiten auf die Buchvorlagen und das Computerspiel näher eingehen. Ich werde die Figuren und die Konstellationen erläutern und den Aspekt des Phantastischen charakterisieren. In meinem Fazit möchte ich die Buchvorlage mit dem Computerspiel im Hinblick auf die vorher besprochenen Aspekte vergleichen.

Die Zusammenfassungen der jeweiligen Geschichten befinden sich im Anhang (Kapitel 8).

  • Kurzcharakterisierung der Buchvorlagen

Im nun folgenden Kapitel werde ich mich mit den Buchvorlagen „Alice in Wonderland“ und „Through the looking glass“ beschäftigen. Ich werde kurz auf die Entstehung eingehen und die Figuren besprechen. Zuletzt werde ich die Bedeutung der Übergansszenen erläutern.

  • Alice und Lewis: die Entstehungsgeschichte

Alles fing auf einer idyllischen Bootsfahrt auf der Themse an.[2] Lewis Carroll unterhielt die drei Töchter seines Oxforder Kollegen Liddell mit einer selbst ausgedachten Geschichte. Alice Pleasance Liddell, damals zehn Jahre alt, hatte darum gebeten. Carroll empfand sehr wahrscheinlich eine starke Zuneigung zu ihr, weswegen er sie kurzerhand zur Hauptfigur ernannte. Die kleine Alice Liddell bat ihn auch darum, die Geschichte aufzuschreiben. Noch am gleichen Abend notierte er sich die Kapitelüberschriften. Im November fing er an zu schreiben und zwei Jahre später, zu Weihnachten schenkte er Alice Liddell „Alice’s Adventures Underground“, mit handgezeichneten Illustrationen.

Zufälligerweise wurde diese Version von Henry Kingsley gelesen, dem Bruder von Charles Kingsley. Er empfahl Carroll, die Geschichte zu veröffentlichen, doch dieser glaubte nicht an den Erfolg. Er gab die Aufzeichnung an George MacDonald, der es seinen Kindern vorlas. Diese waren hellauf begeistert. Erst nach diesem Ereignis trat Lewis Carroll 1865 in Verhandlung mit einem Verlag und erklärte sich bereit, die Druckkosten zu übernehmen. Vorher aber schrieb er die Geschichte noch einmal um und fügte einige Episoden hinzu. Nun hiess das Buch „Alice in Wonderland“. Als Illustrator konnte er den berühmten John Tenniel für sich gewinnen, dessen Stil die Alice Darstellungen bis heute massgeblich beeinflusst hat. 1865 wird das Buch veröffentlicht und ein Erfolg.[3]

Schon ein Jahr später beginnt Lewis Carroll über eine Fortsetzung der Geschichte nachzudenken.[4] Da er möchte, dass die zwei Bücher möglichst einheitlich aussehen, fragt er wieder bei John Tenniel an, ob er die Illustrationen dazu machen würde. Doch dieser lehnt zuerst ab. Daraus lässt sich vermuten, wie schwierig die Zusammenarbeit zwischen den beiden gewesen sein könnte.[5]

Doch schliesslich, nach langem Überreden, lenkt Tenniel ein. Nun, im Herbst des Jahres 1868, kann Carroll endlich mit der zweiten Geschichte anfangen. Drei Jahre darauf ist er endlich fertig und „Through the looking glass“ wird noch im selben Jahr publiziert. Es ist eines der seltenen Bücher, das, obwohl es eine Fortsetzung ist, auch Klassikerstatus errungen hat und als eigenständiges Werk angesehen wird.[6]

  • Hauptfiguren und Hierarchien in den „Alice“-Büchern anhand von John Tenniels Illustrationen

Sir John Tenniels Illustrationen zu „Alice in Wonderland“ und „Through the looking glass“ sind bis heute unübertroffen.[7] Wohl nicht nur wegen seiner engen Zusammenarbeit mit Lewis Carroll, sondern auch, weil die Logik und Interpretation hinter den Figuren einzigartig ist. Tenniel hat bis heute den Darstellungsstil von Alice massgeblich geprägt. Fast alle nachfolgenden Abbildungen gleichen seiner Aliceinterpretation. Inwiefern Carroll Tenniels Zeichnungen beeinflusst hat, ist nicht zu sagen. Keiner von beiden hat Notizen oder Tagebucheinträge zu ihrer Zusammenarbeit hinterlassen. Wenn man aber die originalen Illustrationen aus „Alice’s Adventures Underground“ von Carroll selbst und Tenniels Bilder ansieht, ist eine gewisse Beeinflussung nicht zu leugnen.

Alice, als Hauptperson der Geschichte wird in einem Kleid mit Puffärmeln gezeigt. Sie trägt weisse oder geringelte Socken (in „Through the Looking Glass“) und schwarze Schuhe. Es gibt bezeichnenderweise nur eine Abbildung, in der sie verändert aussieht. Nämlich im zweiten Kapitel „Pool of Tears“, als sie wie ein Fernrohr in die Höhe wächst. Alle anderen Grössenänderungen werden lediglich durch die Grössenunterschiede dargestellt. John Tenniel zeigt Alice nie beim Essen oder Trinken eines Nahrungsmittels, nachdem ein Wandel eintreten wird. Auch stellt er den Übergang in die Phantasiewelt nicht dar, also, wie sie die Kaninchenhöhle hinunter fällt. Des Weiteren zeigt er nicht, wie Alice wieder in die reale Welt zurückkehrt.

Alice wird als einziger Mensch naturgetreu menschlich dargestellt.

Ganz im Gegensatz zur hässlichen Herzogin oder ihrer Köchin, die sehr grotesk wirken. Tenniel diente ein Gemälde der Herzogin Margaret of Tyrol, gemalt im 14. Jahrhundert von Quentin Metsys als Vorbild. Der Herzkönig und die Herzkönigin werden ähnlich grotesk dargestellt.

Das auffälligste Merkmal bei John Tenniels Illustrationen jedoch sind die Attribute der jeweiligen Charaktere. Es entsteht eine vollkommen logische Hierarchie in seinen Darstellungen. Tiere, zum Beispiel der Dodo und die Raupe, denen Hände wachsen, werden vermenschlicht und stehen deswegen auf einer höheren Stufe als zum Beispiel die Maus, die keine solchen Merkmale besitzt. Charaktere, die sowieso schon menschlich sind, sind mit Hüten ausgestattet. Sogar das Baby der Herzogin trägt eine Kappe. Grössere Hüte bedeuten mehr Macht über Alice und den Rest der Wunderland-Bewohner. Dies lässt sich auch heute noch beobachten: Die Kopfbedeckung ist auch heute noch in vielen Kulturen ein Zeichen von sozialem Status. Heute wird ein Hut nur noch zu besonderen Anlässen getragen.[8] Wohl berühmtestes Beispiel ist das Pferderennen von Ascot, wo regelrechte Wettbewerbe um die verrückteste Hutkreation ausgetragen werden.[9]

Die einzige menschliche Figur ohne Hut ist Alice, was ihren besonderen Stellenwert auszeichnet.

Was die Tiere angeht, können diese grob in zwei Gruppen eingeteilt werden: die erste Gruppe kennzeichnet sich dadurch, dass die Tiere keine menschliche Haltung einnehmen. Sie können aber menschliche Attribute haben wie Hände, Kleidung oder Accessoires. Auch zur ersten Gruppe gehören Geschöpfe, die nackt bleiben und keine besonderen Kennzeichen haben. Die Tiere mit menschlichen Attributen stehen in der sozialen Rangordnung über Alice oder haben  zumindest in irgendeiner Weise Macht über sie. Normalerweise tragen sie keine Hüte, bis auf den Märzhasen und das Ferkelchen. Doch bei Ersterem ist dies wohl ein Zeichen seiner Verrücktheit und bei Zweiterem das letzte Überbleibsel seines Menschseins.

Dann gibt es noch die zweite Gruppe. Darin sind die Tiere, die eine menschliche Haltung annehmen, wie der Hummer, der vor dem Spiegel steht, oder der Greif und der Schildkrötensupperich, wenn sie die Hummer-Quadrille vorführen.

Die Grinsekatze nimmt eine spezielle Stellung unter den Tieren ein, genau wie Alice unter den menschlichen Charakteren. Sie wird als einziges Tier ohne Kleidung dargestellt, obwohl sie eine Autoritätsperson ist und grosse Macht über Alice hat. Aber die „Cheshire Cat“ ist auch die einzige Persönlichkeit, die das Wunderland im Überblick hat und sich erlauben kann, eine Meinung zu haben, nämlich „wir alle hier sind verrückt.“[10]

Diese Sonderstellung nimmt der weisse Ritter in „Through the Looking Glass“ ein. Auch er trägt keinen Hut und ist mehr Freund und Beschützer von Alice als eine Bedrohung. Hier sieht man auch Alice zweimal mit Hut ausgestattet: einmal im Zugabteil und in der Schlussszene, als „Queen Alice“.

Alle Tiere in „Through the Looking Glass“ tragen Kleidung oder zumindest ein Accessoire (wie der Löwe, der eine Brille trägt), bis auf Alice’s Kätzchen, die Kreaturen im „Jabberwocky“-Gedicht und das Reh.

Zum ersten und einzigen Mal wird hier die Übergansszene zurück in die reale Welt klar dargestellt, nämlich wie sich die Königin wieder in Alices Kätzchen verwandelt, während sie sie schüttelt. Übrigens gibt es hier einen bedeutenden Unterschied zwischen der englischen und der deutschen Fassung: Im englischen Schach sind die Farben rot und weiss, im deutschen schwarz und weiss. Deswegen ist das eine Kätzchen in der deutschen Version schwarz, in der englischen jedoch rot.

  • Die Übergangsszenen, ihre Bedeutung für Alice und was das Phantastische damit zu tun hat.

Ich möchte an dieser Stelle auf die Übergangsszene in die phantastische Welt eingehen, einerseits aus „Alice in Wonderland“ und andererseits aus „Through the looking glass“ und aus dem Vergleich der beiden Szenen die jeweilige Funktion des Phantastischen herausarbeiten. Oder auch, ob sich in den Anfangsszenen Hinweise auf Alices Rolle in der jeweiligen Geschichte finden lassen.

In „Alice in Wonderland“ ist Alice zu Beginn gelangweilt, da sie nichts zu tun hat. Doch gleich darauf rennt das weisse Kaninchen vorbei und sorgt für ihre Unterhaltung. „Alice schläft ein und träumt, ist (als Heldin des Romans) also passiv und will beschäftigt werden.“[11] So verhält es sich auch im weiteren Verlauf des Geschehens: Alice wird zum Spielball der Wunderland Bewohner und wird kreuz und quer herumgeschickt, ohne dass sie handlungsbestimmend eingreifen würde oder könnte. In der Zeit, in der sie den Kaninchenschacht hinunterfällt, kann sie nicht viel mehr machen, als sich von der Erdanziehungskraft (oder in diesem Fall wohl eher der Wunderlandanziehungskraft) heranziehen zu lassen, Selbstgespräche zu führen und sich umzusehen. In diesem Teil übernimmt also das Phantastische die Funktion des Unterhaltenden. Und Alice lässt sich unterhalten, wenn auch eigentlich ungern, da die Bewohner und das Wunderland bedrohlich auf sie wirken. Doch in dem Augenblick, in dem es wirklich gefährlich wird und ihr Todesurteil ausgesprochen wird, wird sie wieder zur aktiven Gestalterin ihrer Umgebung. Sie wächst wieder auf ihre normale Grösse an, wozu sie zuvor sonst immer etwas zu sich nehmen muss und schmeisst die Geschworenenbank um. Ausserdem wertet sie die Gefahr ab durch den Aufschrei „Ihr seid doch bloss ein Satz Spielkarten!“[12] Dann wacht sie aus eigenem Willen auf.

Etwas anders sieht die Situation am Anfang von „Through the Looking Glass“ aus. Alice spielt mit ihren Kätzchen und stellt sich (aktiv) vor, wie eine Welt hinter den Spiegeln wohl aussehen würde. Auch hier schläft sie ein, diesmal aber durch ihren Willen und somit kann sie auch die Handlung beeinflussen und den Spiegel zum „schmelzen“ bringen. Im Spiegelland muss sie sich zwar wieder den jeweiligen Spielregeln und Gesetzmässigkeiten unterwerfen, doch den Weg zum Thron kann sie nur durch eigene Tatkraft meistern. Hier könnte eine Funktion des Phantastischen die Entwicklung sein. Es könnte auch eine Übergangsfunktion von der Kindheit in die Erwachsenenwelt oder in die Pubertät haben (Alice ist im Roman erst siebeneinhalb Jahre alt). Sie behält auch im weiteren Verlauf der Geschichte eine aktive Rolle bei; sobald ihr eine Situation „zu bunt“ wird, springt sie über den Bach ins nächste Schachfeld und schafft sich somit eine neue Sachlage. Schon zu Beginn, als sie immer wieder beim Hauseingang herauskommt, bleibt sie hartnäckig und versucht weiter, einen Weg auf den Hügel hinauf zu finden, obwohl sie weiss, das sie eigentlich wieder in ihre „alte“ Welt zurück sollte. Erst, als sie die Kontrolle über die Situation verliert, wacht sie wieder auf.

Es findet also eine Umkehrung statt. In der ersten Geschichte muss Alice lernen, die Kontrolle zu gewinnen, um ihr Leben selber in die Hand nehmen zu können und im zweiten Buch muss sie wieder loslassen und Abschied nehmen können was die Szene mit dem weissen Ritter symbolisiert, der ihr ein langes und trauriges Lied vorsingt.

  • American McGee’s Alice

In diesem Kapitel werde ich auf die Umsetzung als Computerspiel eingehen. Wie bei der Buchcharakterisierung werde ich zuerst auf den Autor bzw. Entwickler eingehen. Danach werde ich auf die Rezeption eingehen, bevor ich das Werk in meinem vierten Kapitel mit den Buchvorlagen vergleiche. Da ich die englische Version des Spiels besitze, kann es zu Abweichungen in der Farbbeschreibung kommen, da die englischen Schachspielfarben rot-weiss und nicht schwarz-weiss sind. Das Spiel hat einen linearen Spielverlauf. Es gibt keine Möglichkeit, die Handlung zu beeinflussen. Deswegen werde ich das Computerspiel wie ein weiteres Alice-Buch bearbeiten. Für eine Zusammenfassung des Spielgeschehens siehe Kapitel 8.

  • Der Entwickler: American McGee

Über American McGees Leben gibt es nicht viele Informationen.[13] Er ist am 13. Dezember 1972 in Dallas, Texas geboren. Seine Karriere ist eine typische „vom Tellerwäscher zum Millionär“-Geschichte. American begann als einfacher Automechaniker bis er von seinem Nachbar John Carmack für id Software abgeworben wurde.[14] Dort arbeitete er unter anderem bei der DOOM Serie als Level Designer, Musikproduzent und Programmcoder. Im Jahr 1997 ging er zu Electronic Arts (EA) und hat dort an vielen Projekten mitgearbeitet. Ausserdem hat er dort sein erstes eigenes Spiel entwickelt: „American McGee’s Alice“, nach dessen Fertigstellung in 2000 er EA wieder verliess und seine eigene Firma gründete: „The Mauretania Import Export Company“. Wenn man ihn nach seinem Namen fragt antwortet er:

«My mom was a hippie. I’m not sure how else to put that… She claims a woman she knew in college, who named her daughter ‹America›, inspired the name. She also tells me that she was thinking of naming me ‹Obnard›. She was and always has been a very eccentric and creative person.»[15]

Er lebt heute in Schanghai, wo er beim Aufbau des Computerspiele Unternehmens „Vykarian“ half und 2006 sein eigenes Gamestudio gründete. Das erste Projekt von „Spicy Horse“ heisst „American McGees Grimm“, ein episodenhaftes Computerspiel. Jede Woche wird – wie bei einer Fernsehserie – eine neue „Folge“ veröffentlicht. Diese basieren jeweils auf einem Märchen der Brüder Grimm.

Auf die Frage, ob er „Alice“ ursprünglich als „gothic“-game geplant hat und wenn ja, warum, antwortet er:

“Yes, Alice was intentionally positioned as a «gothic» game. As for «why» – my relationship with «gothic» culture goes back to my teens. The music, art, fashion, and people of this culture have always been compelling to me. It seemed natural that Alice could be adapted to the same style.”[16]

  • Rezeption

Das Spiel „American McGee’s Alice“ hat durchweg gute Noten bekommen[17] und war in seinem Erscheinungsjahr 2000 seiner Zeit optisch weit voraus. Auch heute noch hat das Spiel viele Fans, was man unter anderem an den hohen secondhand Preisen bei amazon.com sehen kann.[18] Andere an der Entwicklung sogar beteiligte Personen fanden das Computerspiel anscheinend jedoch nicht so gut[19], wie man an folgendem Ausspruch von Marylin Manson sehen kann:

“My mark is laid upon it, but not credited and I’m completely fine with that because I didn’t find it to be something that is similar in any way to how I look at Alice in Wonderland. It wasn’t really anything that accomplished what it should have. It was far too wishy-washy. It wasn’t brave enough to be very violent and it wasn’t soft enough to be for kids, so it left itself in a mediocre middle. That’s not to say that it’s the creator’s fault, it’s just to say that is what happens when you don’t have the courage to stand up for what you’re making.»[20]

In letzter Zeit hört man wieder vermehrt Leute, die das Spiel wieder mal durchspielen oder sich an die „guten alten Zeiten“ erinnern. Der Grund dafür ist die Verfilmung von „Alice in Wonderland“ durch den legendären Regisseur Tim Burton.[21] Johnny Depp wird darin die Rolle des verrückten Hutmachers übernehmen.

Auf imdb.com gibt es auch einen Artikel zu einem American McGee’s Alice Film[22], doch dass dieser überhaupt gedreht wird, halte ich für eher unwahrscheinlich, da im Moment auch an einer Verfilmung des Lebens von Lewis Carroll gearbeitet wird, mit Marilyn Manson in der Hauptrolle.[23] Zu Anfang sah es noch vielversprechend aus, was den American McGee’s Alice Film angeht. Sogar Sarah Michelle Gellar war im Gespräch für die Hauptrolle. Doch seit sie abgesagt hat, hört man nichts mehr vom Filmprojekt. Auf die Frage, ob an dem Film noch gearbeitet wird antwortet McGee:

“If I had any info I would pass it along. It’s been a very long time since I last heard anything about the project. I don’t even bother asking because no answer really matters until someone says «it’s getting made now». When that happens I’ll let you know. Until then, just do like I do and don’t think about it. Go outside and play or something.“ (30.08.07).[24]

Es bleibt also abzuwarten, was aus dem Projekt wird…

  • Vergleich

Im letzten Abschnitt der Arbeit möchte ich die Buchvorlage und das Computerspiel zusammen bringen. Ich werde zuerst einige Figuren herausgreifen und die verschiedenen Versionen miteinander vergleichen. Danach möchte ich auf den Charakter des Phantastischen und die Darstellung im Computerspiel eingehen, diese mit dem Buch vergleichen und die Funktion erläutern.

  • Charakterisierung der Figuren

Als erstes möchte ich auf Alice eingehen. Vom Äusseren her gleicht sie ihren früheren Darstellungen noch sehr: ein blaues Kleid mit Puffärmeln, eine weisse Schürze und weisse Socken. Im Gegensatz zur Disney Vorlage sind ihre Haare jedoch brünett und die Augen grün; die Schuhe sind zwar immer noch schwarz, aber sie sind zu Schnürstiefeln geworden, was den Gothic-Stil des Spiels noch unterstreicht. Ihre Schürze ist blutverschmiert und auf der Tasche ist das alchemistische Symbol für Jupiter aufgestickt.[25] Sie trägt eine Kette um den Hals mit dem griechischen Buchstaben „Omega“. Es ist der letzte Buchstabe im griechischen Alphabet und steht für das Ende oder auch den Tod.[26] Alice ist erwachsen geworden (wie es auch im Trailer zum Spiel heisst) oder zumindest im Teenageralter. Da sie etwa vier Jahre in der psychiatrischen Anstalt verbracht hat, wie wir vom verrückten Hutmacher im Spiel erfahren haben[27], würde ich sagen, dass sie zwischen elf und zwölf Jahren alt ist. Sie ist ziemlich dünn, fast ausgemergelt, was man vor allem an den dünnen Ärmchen erkennen kann. Doch ihre Augen strahlen Selbstsicherheit und auch Kälte aus, wobei sie bei Tenniel oder in der Disney Vorlage eher kindlich, naiv und neugierig wirken. Ein weiterer, sehr wesentlicher Unterschied ist ihre Waffe: das blutbeschmierte Messer ist – neben der Grinsekatze und ihrer Scharfsinnigkeit – Alices wichtigster Begleiter im Computerspiel.

Doch nicht nur äusserlich, auch charakterlich hat sich etwas getan: Alice erscheint viel frecher, selbstbewusster und brutaler als in der Buchvorlage. Sie hat vor nichts Angst, wie sie auch im Spielverlauf mehrmals betont. Ausserdem bedient sie sich auch der Ironie.

Man findet im Computerspiel eine ähnliche Darstellungslogik, wie in den Tenniel Bildern: Alle Kreaturen des Wunderlandes, die in irgendeiner Weise Macht über Alice haben oder ihr zu Nutze sein können, tragen einen Hut oder Kleidung und weitere menschlichen Attribute. Im Unterschied zu Tenniels Illustrationen tragen in American McGee’s Alice auch alle Alice übergeordneten Tiere einen Hut.

Das Kaninchen trägt einen Zylinder, Hose, Jackett, sogar Handschuhe und so etwas Ähnliches wie Schuhe. Er steht meistens auf den Hinterbeinen, doch hoppelt er, wenn er sich fortbewegt. Er behält auch seine charakteristische Ungeduld bei; er drängt schon zu Beginn zur Eile.

Im Gegensatz zum Hasen ist der Schildkrötensupperich nackt. Er unterwirft sich Alice und bittet sie, ihm seine Schale wieder zurück zu bringen. Im Gegenzug erfährt sie, wo sich die weise Raupe befindet. Sobald er sein Gehäuse wieder hat, wird er für Alice zur Autoritätsperson, zeigt ihr den Weg durch den Wassertunnel und hilft ihr durch seine Luftblasen, unter Wasser zu überleben.

Wieder nehmen Alice und die Grinsekatze eine Sonderstellung ein. Die Katze ist als einziger Wunderlandbewohner das ganze Spiel hindurch präsent und mit einem Knopfdruck herbeirufbar. Sie ist bis aufs Äusserste ausgemergelt obwohl ihre Zähne immer blutbefleckt sind. Sie ist am rechten Ohr gepierced und kann anscheinend ihre Krallen nicht mehr einziehen. Ansonsten trägt die Grinsekatze keine Kleidung. Sie fungiert hauptsächlich als Ratgeber, was an ihre Rolle in der Literaturvorlage angelehnt ist.

  • Gedanken über Alice, ihre Psyche und das Wunderland

Die Alice Geschichte war schon in den Büchern ziemlich bedrohlich gestaltet. Diese Eigenschaft wird in dem Computerspiel noch überspitzt. Die verschiedenen Horrorelemente wurden herausgenommen und verstärkt dargestellt. Das Spiel zielt eindeutig auf eine erwachsene Zielgruppe hin. Aus den Körpern der sterbenden Gegner spritzt Blut und nicht selten werden sie verstümmelt oder sogar entzweigeschnitten. Als die Herzogin stirbt, niest sie sich den Kopf weg. Schon die Anfangsszene zeigt einige Horror- und phantastische Elemente, wie die Stimmen aus Alices Erinnerungen und der Plüschhase, der plötzlich zu sprechen beginnt.

Alice selbst ist ein ambivalenter Charakter. In der echten Welt verstört, traumatisiert[28] und psychotisch.[29] Wahrscheinlich sogar selbstmordgefährdet, da sie Bandagen an den Handgelenken trägt. Obwohl man sie zu Beginn im Spiel nur schlafend sieht, nehme ich an, dass sie verunsichert ist. Durch den ganzen Klinikalltag mit dem strengen Tagesablauf, den Medikamentenabgaben und dem ausschliesslichen Zusammenleben mit anderen geistig gestörten Menschen.

Im Wunderland, das eher einem Albtraumland gleicht, treffen wir eine selbstsichere, schlagfertige und gewalttätige Alice an. Es ist ihr Wunderland, das verunstaltet wurde, das ihr wahrscheinlich oft als Fluchtort aus der Realität gedient hat und  wo sie immer mit allen ihren Freunden Teeparties feiern konnte. Alices Neugier aus der Buchvorlage transformiert sich zu Rachegelüsten und Wut. Ihre phantastische Welt hatte vor dem Feuer eine Fluchtfunktion. Doch nach dem Feuer wurde alles anders. Die rote Königin kam an die Macht und unter ihrer Herrschaft hat sich alles verändert.

Doch war nicht Alice es, die durch ihr Trauma das Wunderland verändert hat? Und ist Alice nicht selbst die rote Königin? Allerdings könnte die Königin ein Symbol für Alices Wahnsinn[30] und Schuldgefühle sein. Gleichzeitig ist sie ihre einzige Chance zur psychischen Genesung. Im Laufe des Spielgeschehens verliert Alice alles, was ihr lieb und teuer war, bevor sie der roten Königin – also eigentlich sich selbst – gegenübertreten kann.

Das Wunderland (oder in dieser Version das Albtraumland) erscheint jetzt offensichtlich bedrohlich und teilweise chaotisch. Immer wieder verliert Alice den Boden unter den Füssen. Sei es dadurch, dass dieser sich auflöst, bzw. plötzlich Löcher auftreten oder sei es durch den Tod ihrer Freunde.

Alles ist eins: Alice, die rote Königin, die psychische Gesundheit, das Feuer. Obwohl nicht klar wird, ob Alice Schuld am Feuer war, ist jedoch sicher, dass sie zu der Zeit, als das Feuer wütete, im Wunderland bei ihren Freunden war und sich amüsiert hat, als ihre Familie umkam. Die Schuldgefühle sind demnach der Auslöser für ihr Trauma, die Veränderungen im Wunderland und ihrer Persönlichkeitsspaltung.[31]

Das Phantastische hat im Computerspiel die Funktion der Katharsis:[32] der Reinigung von Alices Seele, der Reinwaschung von allen Schuldgefühlen und der Vereinigung ihrer gespaltenen Persönlichkeit.

  • Schlusswort

Alice wurde über die Jahre immer wieder neu und anders interpretiert. Interessant finde ich, dass die Darstellung konstant bleibt und sich so gut wie immer nach den Bildern John Tenniels richtet. Sogar die Hierarchie in seinen Bildern ist nicht selten ähnlich übernommen worden.

Meiner Meinung nach eine der spannendsten Umsetzungen ist die des Computerspiels „American McGee’s Alice“, weswegen ich dieses auch als Thema meiner Arbeit gewählt habe. Ich kannte davor nur den Disney Film und die Animeserie. Die Umsetzungen also, die möglichst kinderfreundlich gestaltet waren. Es war eine grosse Überraschung für mich, als ich das Buch gelesen hatte, dass es so viele bedrohliche Elemente beinhaltete!

Die Entwicklung Alices wird in „American McGee’s Alice“ fortgesetzt: In der ersten Geschichte noch Spielball der „Wunderland“-Natur, lernt sie in „Through the looking glass“ sich zu behaupten, für ihre Interessen ein zustehen um schliesslich in der „dritten Episode“, also dem Computerspiel, als vollkommen eigenständige Persönlichkeit voller Stärke dazustehen und sich gegen das Bedrohliche in Gestalt der roten Königin (und den Wachen und den Ameisen und und und…) behaupten zu können.

  • Bibliographie

Primärquellen:

  • American McGee’s Alice. Redwood City, Kalifornien: Electronic Arts, 2000.
  • Carroll, Lewis: Alices Abenteuer im Wunderland. Stuttgart: Reclam, 2006.
  • Carroll, Lewis: Durch den Spiegel und was Alice dort fand. Stuttgart: Reclam, 2006.

Bücher, Aufsätze, Lexikoneinträge:

  • Alice [im Wunderland]. In: Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. 1. Band, A-H. Hg. v. Klaus Doderer. Weinheim und Basel: Beltz, 1979, S. 22-25.
  • Carroll, Lewis (d.i. Charles Lutwidge Dodgson). In: Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur, Band 1: A-K. Hg. v. Bettina Kümmerling-Meibauer. Stuttgart, Weimar: J.B. Metzler, 1999, S. 190-200.
  • Nières, Isabelle: Tenniel: The Logic behind his Interpretation of the Alice Books. In: Rachel Fordyce, Carla Marello (Hg.): Semiotics and Linguistics in Alice’s Worlds. Berlin, New York: Walter de Gruyter, 1994, S. 194-208.
  • Pschyrembel Klinisches Wörterbuch. Bearbeitet von der Wörterbuch-Redaktion des Verlages. Berlin: de Gruyter, 2002.
  • Richard, Birgit: Sheroes. Genderspiele im virtuellen Raum. Bielefeld: Transcript, 2004. (Cultural studies; Band 8).

Onlinequellen


  • Bilderverzeichnis


  • Anhang: Zusammenfassungen
    • Alice im Wunderland

Alice und ihre Schwester sitzen am Bachufer.[33] Die Schwester liest ein Buch, in dem weder Bilder noch Gespräche vorkommen, was Alice sehr langweilt. Sie wird müde. Da hüpft ein weisses Kaninchen vorbei, das kurioserweise eine Taschenuhr besitzt und sprechen kann. Alice folgt ihm in seinen Bau und fällt plötzlich in ein Erdloch. Kilometertief ist der Fall durch einen voll eingerichteten Schacht und schliesslich landet sie sanft auf einem Laubhaufen. Alice steht auf und gelangt in ein Zimmer, in dem alle Türen verschlossen sind. Sie entdeckt einen gläsernen Tisch mit einem winzigen Schlüssel darauf und die dazugehörige winzige Tür, nicht grösser, als ein Mauseloch. Dahinter liegt der wundervollste Garten, den Alice je gesehen hat! Plötzlich steht auf dem Tisch ein Fläschchen mit der Aufforderung „Trink mich!“. So getan, schrumpft sie auf die Grösse einer Maus und könnte durch die Türe gehen…hätte sie nicht den Schlüssel auf dem Tischchen liegen lassen. Da entdeckt Alice darunter einen Kuchen, der sie wieder wachsen lässt. Doch diesmal ins Riesenhafte. Alice weint riesige Tränen, als das Kaninchen wieder vorbei rennt und seine Handschuhe und einen Fächer verliert. Sie merkt erst, dass sie wieder schrumpft, als sie den Handschuh plötzlich anziehen kann und fast in ihren eigenen Tränen ertrinkt. Nun trifft sie auf andere Tiere, wie eine Ente, eine Maus, ein Dodo und eine Weihe. Um wieder trocken zu werden, erzählt die Maus die trockenste Geschichte, die sie kennt – ohne Erfolg. Nun schlägt der Dodo ein „Caucus Race“ vor (ein „Brocken Rennen“ nach der Übersetzung von Günther Flemming, ein „Proporz Rennen“ nach Enzesberger[34]) wonach alle auch endlich trocken sind. Als Alice jedoch nun beginnt, von ihrer Katze Dinah zu erzählen, kriegen es die Tiere mit der Angst zu tun und rennen davon. Alice geht in das Haus des weissen Kaninchens und wird schon wieder riesig, nachdem sie aus einer Flasche getrunken hat. Wieder klein, durch Naschen von einem Kuchen, kommt sie zu einer rauchenden Raupe, die auf einem Pilz sitzt. Alice ist der Verzweiflung nahe, da sie das Gefühl hat, nicht mehr sich selbst zu sein. Die Raupe fordert sie auf, ein Gedicht aufzusagen, das völlig verdreht herauskommt. Auch ist sie nicht in der Lage, eine Kopfrechnung zu lösen. Nun meint die weise Raupe: „Eine Seite macht dich länger, und die andere Seite macht dich kürzer.“[35] Damit ist der Pilz gemeint, auf dem sie sitzt. Endlich wieder auf normaler Grösse, kommt Alice zum Haus der Herzogin. Diese hält ein Baby im Arm. Es ist ein Riesenchaos in der Küche und alle niesen und heulen, da die Köchin riesige Mengen Pfeffer verstreut. Auf einmal rennt die Herzogin davon und drückt Alice das Baby in die Arme. Dieses verwandelt sich in ein Ferkel und rennt ebenfalls davon. Nun trifft Alice auf eine „Cheshire Cat“ (die Grinsekatze), die sich in Luft auflöst, bis nur noch ihr Grinsen über dem Ast schwebt. Vorher zeigt sie Alice aber noch den Weg zum verrückten Hutmacher. Dort wird das Mädchen mit sinnlosen Rätseln und seltsamer Logik genervt. Bald darauf trifft sie bei der Kricket Partie der Herzkönigin ein, wo sie Flamingos als Schläger benutzen und lebendige Igel als Bälle fungieren. Auch dort herrscht ein Chaos, da die Tiere nicht stillhalten können und die Königin allen ständig mit der Enthauptung droht. Alice trifft wieder auf die Herzogin und die Grinsekatze. Kurz darauf wird sei vom Greifen und dem Schildkrötensupperich belehrt. Schliesslich kommt sie zu einer Gerichtsverhandlung, wo dem Herzbuben vorgeworfen wird, eine Torte gestohlen zu haben. Während der Verhandlung wird Alice als Zeugin aufgerufen. Endlich ist sie wieder zu ihrer normalen Grössen angewachsen. Als die Herzkönigin ihr Todesurteil spricht, wird Alice wütend und wirft alles um. „Ihr seid doch bloss ein Satz Spielkarten!“[36] ruft sie aus und wirbelt die Karten durch die Luft.

Alice erwacht im Schosse ihrer Schwester, erzählt ihr vom Wunderland und läuft dann weg.

  • Durch den Spiegel und was Alice dort fand

Zu Beginn von „Alice hinter den Spiegeln[37] spielt sie mit ihren beiden Kätzchen.[38] Das eine ist weiss und das andere schwarz. Da sie gerne Schach spielt, erklärt sie das eine Kätzchen zur weissen, das andere zur schwarzen Königin. Eines hält sie vor den Spiegel und stellt sich vor, wie es in einer Welt dahinter aussehen würde. Auf einmal löst sich das Spiegelglas wie Nebel auf und Alice tritt hindurch. Nun befindet sie sich in einem Zimmer, das genau so aussieht wie ihr Wohnzimmer, nur, dass alles spiegelverkehrt ist und lebendig zu sein scheint. Ausserdem findet sie im Kamin ein paar sprechende Schachfiguren, die sie ordentlich wieder hinstellt. Auf dem Tisch liegt ein Buch, das das seltsame Gedicht des „Jabberwocky“ enthält. Es ist in Spiegelschrift geschrieben. Nun tritt Alice hinaus in den Garten und erblickt einen Hügel. Doch wie sehr sie sich auch bemüht, sie findet keinen Weg, der dahin führt. Sie kommt immer wieder bei der Türe heraus. Sie redet mit den Blumen im Garten, die sie für eine sehr seltsame und hässliche Pflanze halten. Doch sie verraten ihr, dass sie in die entgegengesetzte Richtung gehen muss, um zum Hügel zu gelangen. Gesagt, getan. Auf dem Hügel trifft Alice auf die schwarze Schachkönigin, die ihr die Landschaft erklärt. Sie ist durch Bäche und Hecken in Quadrate geteilt, wie ein Schachbrett. Alice will nun an dem Schachspiel teilnehmen und wird zu einem weissen Damenbauer auf dem zweiten Feld. Um zur Königin zu werden, muss sie bis ins achte Feld kommen. Nachdem Alice und die Königin gerannt sind, bis sie aus der Puste waren und sich immer noch am gleichen Fleck befanden, verabschiedet sich die Königin und Alice rückt alleine zum dritten Feld vor. Dazu muss sie über einen Bach springen und plötzlich sitzt sie in einer Eisenbahn, im gleichen Abteil wie ein Mann mit einem Papieranzug, einer Ziege, einem Käfer und dem Schaffner. Der beschimpft sie, da sie keine Fahrkarte vorzuweisen hat. Doch da überspringt der Zug auch schon den Bach zum vierten Feld und nun sitzt Alice unter einem Baum. Sie durchquert den Wald, in dem nichts einen Namen hat zusammen mit einem Reh. Danach kommt Alice zum Haus von Tweedledum und Tweedledee. Diese zwei kennt sie schon aus einem Kindergedicht. Und genau wie im Gedicht streiten sich die dicken Männlein um eine kaputte Klapper. Alice trifft auf die weisse Königin und springt zusammen mit ihr auf das fünfte Feld, wo sie sich mit einem Schaf in einem Laden befindet. Plötzlich sitzt sie mit dem Tier in einem Ruderboot und pflückt Traumbinsen. Danach steht sie wieder im Laden. Sie sieht ein Ei in einem Regal liegen, doch um dorthin zu gelangen, muss sie über einen Bach springen, der nun mitten durch den Laden verläuft. Alice steht im sechsten Feld. Das Ei wächst und wächst und wird zum Kopf von Humpty-Dumpty, wieder eine Figur aus einem Kindergedicht. Er erklärt ihr, was es mit dem Gedicht des „Jabberwocky“ auf sich hat und was die Doppelwörter bedeuten. Ein ohrenbetäubender Lärm ertönt und eine riesige Armee stürmt aus dem Wald. Der weisse König tritt auch heraus und ruft nach seinen Läufern Hatta und Haigha (der Hutmacher und der Siebenschläfer aus dem ersten Teil). Sie melden, dass der Löwe und das Einhorn um die Krone des weissen Königs kämpfen – genau wie in einem anderen Kindergedicht, das Alice noch kennt. Schnellstens überhüpft sie den nächsten Bach und kommt auf das siebente Feld. Hier wartet schon der weisse Ritter auf sie und begleitet sie ein Stück des Weges. Am Waldrand nehmen sie wehmütig Abschied von einander und Alice springt über den Bach ins achte und letzte Feld. Plötzlich hat sie eine Krone auf dem Kopf. Endlich ist sie zur „Queen Alice“ geworden und sitzt zwischen der weissen und der schwarzen Königin, singt den beiden ein Schlaflied vor, bis sie auf ihrer Schulter einschlafen. Nun kommt Alice an ein Portal, hinter dem eine festlich gedeckte Tafel steht. Alle erwarten sie schon und möchten, dass sie eine Ansprache hält. Dabei entsteht jedoch ein solches Chaos, das Alice das Tischtuch herunterreisst. Sie erwischt die plötzlich sehr kleine schwarze Königin und schüttelt sie so lange, bis sie wieder ihr schwarzes Kätzchen in den Händen hält. Alice ist aus einem weiteren seltsamen Traum erwacht.

  • American McGee’s Alice

Diese Geschichte fügt ein drittes Kapitel zur Alice Geschichte hinzu. Im Introfilmchen erfahren wir, dass Alice die einzige Überlebende eines schrecklichen Feuers war. Das Trauma, das sie von diesem Ereignis davontrug war so schwer, dass sie in einer psychiatrischen Anstalt gelandet ist. Die Pfleger dort überreichen ihr ihren Plüschhasen…und Alice erinnert sich wieder an das Wunderland. Plötzlich fängt der Hase an zu sprechen: „Hilf uns!“ – und Alice fällt wieder in den Kaninchenbau ihrer Träume oder Wahnvorstellungen.

Doch das Wunderland hat sich verändert. Unter der Herrschaft der roten Königin sind alle Bewohner zu rückgratlosen Feiglingen geworden, die „sich nicht einmal mehr trauen, die Strasse zu überqueren“.[39]

Als erstes trifft sie wieder auf den Hasen und die Grinsekatze. Letzterer begleitet Alice durch das ganze Spiel und steht ihr stets mit Rat zur Seite. Der Hase meint, sie hätten keine Zeit herumzustehen und hüpft davon. Alice rennt hinterher und kann gerade noch erkennen, dass er in ein Portal hüpft, zuvor aber winzig klein wird. In den Tiefen einer heruntergekommenen Mine steht ein weiser Gnom, der weiss, wie Alice auch so winzig klein werden kann. Er führt sie zur „Fortress of Doors“, wo Alice die Ingredienzien für einen Schrumpftrank finden muss. Doch die Burg wird gut bewacht von Kartensoldaten, die der roten Königin treu ergeben sind. Schliesslich hat Alice alles beisammen und kann sich im heruntergekommenen Labor einer Schule, in der alle Kinder verrückt geworden sind, den Trank brauen lassen. Nun kann sie endlich durch das winzige Portal hüpfen und findet sich im „Vale of Tears“ wieder. Dort trifft sie auf den Schildkrötensupperich, dessen Schale geklaut wurde. Er verspricht, Alice zu helfen, den Hasen zu finden. Er wird ihr den Weg zur weisen Raupe zeigen, wenn Alice ihm seine Schale wieder bringt. Doch die ist nun im Besitz der Herzogin. Nach einem zermürbenden Kampf ist diese aber endlich besiegt und gibt das Gehäuse frei. Jetzt zeigt der Schildkrötensupperich ihr den Weg in die „Wonderland Woods“, wo sich die Raupe befindet. Plötzlich trifft sie wieder auf den Hasen, der ihr den Weg zeigen will. Er wagt sich aus den Gräsern ins Freie und wird von der riesigen Figur des verrückten Hutmachers zerquetscht. Alice ist am Boden zerstört. „Everyone I love dies violently… unnaturally. I’m cursed. Why go on? I’ll just hurt others…“[40] Doch die Grinsekatze erscheint und drängt sie, weiterzugehen. Nach einem beschwerlichen Weg trifft sie endlich auf die Raupe. Diese verrät ihr, wie sie Wunderland wieder zu dem machen kann, was es mal war: Alice muss die rote Königin besiegen. Doch vorher muss sie wieder zu ihrer normalen Grösse gelangen. Dazu muss sie in den „Fungiferous Forest“ und vom Pilz des Lebens essen. Wieder auf normaler Grösse, trifft sie auf ein Orakel. Es erzählt ihr, dass sie erst die Teile des „Jabberwock Eyestaff“ finden, und zusammensetzen muss, um die neue Herrscherin über das Wunderland zu besiegen. Den ersten Teil hat Alice nach dem Kampf mit einem riesigen Tausendfüssler gefunden, der den Pilz des Lebens bewacht hat. Ihr Weg führt sie weiter ins „Looking Glass Land“. Dort trifft sie auf den weissen König, der sie bittet seine Frau zu befreien…doch sie kommt zu spät. Die weisse Königin wird vor Alices Augen durch die roten Schachfiguren geköpft. Sie tritt gegen den roten König an, doch kaum ist dieser besiegt, erscheint der verrückte Hutmacher und sie fällt in einen tiefen Schlaf…sie erwacht in einem Labyrinth aus Spiegeln, an dessen Ausgang sie auf die etwas veränderten Brüder Tweedledee und Tweedledum trifft. Kaum sind diese besiegt, steht plötzlich der verrückte Hutmacher wieder da. Von ihm erfahren wir, dass Alice vier Jahre lang in der Anstalt verbracht hat. Der Boden unter Alice gibt nach und sie fällt endgültig in das Reich des verrückten Hutmachers. Hier nimmt sie – nicht ganz freiwillig – an seiner Teeparty teil. Doch sie muss ihn besiegen, um den Greifen befreien zu können, der auch in der Gewalt des Hutmachers ist. Endlich befreit, will der Greif Alice helfen, die rote Königin zu überwältigen. Zusammen fliegen sie los. Alice fehlt nur noch ein Teil, um den Stab zu vervollständigen – das Auge des Jabberwock. Der Greif setzt sie im „Land of Fire and Brimstone“ ab, wo der Drache lebt. Doch erst trifft sie wieder auf die Raupe, die ihr (wieder einmal) einbläut, dass sie die einzige ist, die das Wunderland wieder zu dem machen kann, was es einst war. Plötzlich versteht Alice: durch ihr Trauma und ihr Verrücktwerden hat sie das Wunderland zerstört und viele Kreaturen sind durchgedreht. Eine Tür weiter trifft sie auf den Jabberwock. Er wirft ihr den Tod ihrer Familie vor. Als das Feuer ausbrach war sie sicher im Wunderland und trank Tee mit ihren Freunden, während ihre Familie ein Stockwerk höher geröstet wurde. In dem Augenblick als Alice zusammen bricht, taucht der Greif wieder auf und kämpft mit dem Jabberwock, bis dieser ein Auge verliert und davonfliegt – der Greif hinterher. Endlich ist der Stab komplett und Alice kann sich der roten Königin gegenüberstellen. Vorher trifft sie nochmals auf den Greifen und den Jabberwock. Der Greif stirbt bei dem Kampf. Schon wieder hat Alice einen Freund verloren. Doch bevor Alice endlich auf die rote Königin trifft, muss sie noch einen letzten Schicksalsschlag bewältigen: die Grinsekatze wird getötet. Nun sind alle ihr freundlich gesinnten Kreaturen tot und sie hat nichts mehr zu verlieren. Sie tritt der roten Königin gegenüber und besiegt sie. Doch was ist das? Die rote Königin verwandelt sich in den verrückten Hutmacher und in Alice selbst, alle zugleich! „If you destroy me, you destroy yourself. Leave now and some hollow part of you may survive. Stay, and I will break you down. You will lose yourself forever!”[41] Spricht die Königin und verwandelt sich in ein riesiges, abscheuliches Monster. Unserer tapferen Alice steht ein letzter Kampf bevor. Schliesslich und endlich aber ist die rote Königin endgültig besiegt und das Wunderland wird wieder erweckt und so bunt und schön wie einst. All ihre verstorbenen Freunde leben wieder. Und Alice? Nun, sie ist genesen und verlässt zusammen mit ihrer Katze Dinah fröhlich das „Rutledge Asylum“.


[1] What the Bleep do we (k)now? – Ich weiss, dass ich nichts weiss! How far down the rabbit hole of mysteriousness do you want to go? USA 2004, William Arntz, Betsy Chasse (DVD: Captured Light & Lord of the Wind Films LLC, 2004).

[2] Doderer, 1979. S. 220/221.

[3] Nières, 1994. S. 195.

[4] Die folgenden Informationen beziehen sich auf: Nières, 1994. S. 195/196.

[5] Nières, 1994. S. 196.

[6] Kümmerling-Meibauer, 1999. S. 198.

[7] Die folgenden Informationen beziehen sich auf: Nières, 1994. S. 194-208.

[8] Siehe: http://www.peter-hug.ch/lexikon/hut (abgerufen: 16.12.2008).

[9] Siehe: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,560255,00.html (abgerufen: 16.12.2008).

[10] Carroll, 2006. S. 74.

[11] Anmerkungen zu Carroll, 2006. S. 178.

[12] Carroll, 2006. S. 145.

[13] Folgende Informationen basieren auf: http://www.americanmcgee.com/wordpress/about/ (24.10.08).

[14] Siehe: http://www.gignews.com/goddess/mcgee.htm (30.10.08).

[15] Siehe: http://www.americanmcgee.com/forum/index.php?topic=3.0 (24.10.08).

[16] Siehe: http://www.americanmcgee.com/forum/index.php?topic=879.0  (24.10.08).

[17] Tests u.a. auf: http://www.gamestar.de/spiele/action/36878/american_mcgees_alice.html, http://www.gamespot.com/pc/action/americanmcgeesalice/index.html?tag=result;score;0, http://pc.ign.com/objects/014/014054.html (alle 24.10.08).

[18] Siehe: http://www.amazon.com/gp/offer-listing/B00006G9SB/ref=sr_1_olp_6?ie=UTF8&s=videogames&qid=1224879894&sr=8-6 (24.10.08).

[19] http://www.americanmcgee.com/forum/index.php?topic=366.msg18101#msg18101 (24.10.08).

[20] http://www.mansonusa.com/celebritarian/?page=3  (24.10.08).

[21] http://www.imdb.com/title/tt1014759/ (25.10.08).

[22] http://www.imdb.com/title/tt0466663/ (25.10.08).

[23] http://www.imdb.com/title/tt0758775/ (25.10.08).

[24] http://www.americanmcgee.com/forum/index.php?topic=547.0 (25.10.08).

[25] Die Zeichen stehen immer für einen Planeten / Gott als auch für ein Metall. Das Metall Jupiters ist Zinn. Jupiter war der Hauptgott der antiken Römer. Bei den Griechen hiess Jupiter Iovis. http://www.hypatiamaze.org/chem/alchem_2.html  (26.10.08).

[26] Vgl. Richard, 2004. S. 56.

[27] Siehe: Kapitel 8.3.: American McGee’s Alice.

[28] Trauma: Verletzung; psych.; bei erheblicher seelischer Belastung und/oder unzureichender Bewältigungsmöglichkeit. (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 2002. S. 1648).

[29] Psychose: Allgemeine Bezeichnung für psychische Störung mit strukturellem Wandel des Erlebens. (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 2002. S. 1380).

[30] Wahnsinn: veraltete Bezeichnung für psychische Störunge, die mit Stöurngen der kognitiven und affektiven Funktionen einhergehen (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 2002. S. 1779).

[31] Spaltung, psychologisch: Bezeichnung für unvermittelt nebeneinander stehende und die Einheit der Persönlichkeit bedrohende gegensätzliche Inhalte, Wünsche und Erlebniswiesen (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 2002. S. 1558).

[32] Katharsis: geistig-seelische Läuterung (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 2002. S. 840).

[33] Zusammenfassung unter Zuhilfenahme von Kümmerling-Meibauer, 1999. S. 191/192.

[34] Kümmerling-Meibauer, 1999. S. 191.

[35] Carroll, 2006. S. 58.

[36] Carroll, 2006. S. 145.

[37] Kümmerling-Meibauer, 1999. S. 197.

[38] Zusammenfassung unter Zuhilfenahme von Kümmerling-Meibauer, 1999. S. 197/198.

[39] Zwischensequenz aus „American McGee’s Alice“, Electronic Arts, 2000.

[40] Zwischensequenz aus „American McGee’s Alice“, Electronic Arts, 2000.

[41] Zwischensequenz „American McGee’s Alice“, Electronic Arts, 2000.